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Öffentliche Kreuzigung der Wahrheit

 Unser Gespräch mit Miron Zownir fand vor einem Jahr statt, als der Fotograf seine Arbeiten zum ersten Mal in der Ukraine vorstellte. Derzeit sind seine neuen Bilder, die in Kiew, Lodz, Moskau und Warschau entstanden sind, in einer Ausstellung mit dem Titel "Okraїna" im Zentrum für visuelle Kultur zu sehen (vul. Kostyantynivska 26, Zhovten-Kino, Kiew).

Die Kuratoren Anastasiya Zhyvkova und Vasyl Cherepanyn schreiben in ihrem Ausstellungskonzept, dass die Grenzen des osteuropäischen Raumes von den Bewohnern der Peripherie, von Außenseitern bestimmt werden. Gleichzeitig ist Miron Zownirs "Okraїna" auch ein ästhetisches Paradigma, welches düsteren Expressionismus, urbane Landschaften und ikonische Darstellungen von Ausgestoßenen des 21. Jahrhunderts vereint.

Wo, nach Ihrer Meinung, liegt der Unterschied zwischen Ihren Fotos von westeuropäischen und postkommunistischen Ländern?

 Ich habe 1995 in Moskau Kranke, Verzweifelte, Obdachlose, Sterbende und Tote vorgefunden, wie es in Westeuropa oder Amerika in diesem Ausmaß undenkbar ist. Menschen, die tagelang tot auf der Straße lagen, bevor sie identifiziert und abtransportiert wurden. Ich würde sagen, dass der Unterschied zwischen Ost und West hauptsächlich in einer größeren Kluft zwischen Arm und Reich liegt, an einer schnellen und skrupellosen Zunahme von Reichtum und sozialem Abstieg und einer langsameren Ost-Bürokratie, die sich den rasenden Veränderungen kapitalistischer Zwangsläufigkeit nicht schnell genug anpassen konnte. Viele Menschen wurden ohne Vorwarnung und Absicherung mit einer Eigenverantwortung zum Überleben konfrontiert, der sie nicht gewachsen waren. Wahrscheinlich war 1995 eine besonders gnadenlose Übergangszeit, dementsprechend hart und brutal sind meine Fotos.

Was fanden Sie in der osteuropäischen Landschaft?

 Wie oben erwähnt, habe ich hauptsächlich Menschen am Abgrund fotografiert. Die neureiche Bourgeoisie, der sogenannte Aufschwung und die traditionellen Sehenswürdigkeiten habe ich kaum wahrgenommen. Sie haben mich ebenso wenig interessiert wie der Prunk, die Arroganz und das verlogene Pathos westeuropäischer oder amerikanischer Städte und Menschen.

Was zieht Sie in erster Linie auf der Straße einer unbekannten, z.B. osteuropäischen Stadt an? Was hilft Ihnen bei der Orientierung?

 Egal ob ich im Osten oder im Westen fotografiere, zieht es mich immer zu den melancholischen, mysteriösen oder existentiellen Gegenden. Natürlich ist das nur eine vage Vorstellung, der keine konkrete Erwartung zu Grunde liegt und auf die man sich auch in keinem Reiseführer vorbereiten kann. Ich bin immer offen, intuitiv und unvoreingenommen, verlasse mich auf meine Eingebungen und Sensoren und lasse mich überraschen.

In Moskau haben Sie Prostituierte, Obdachlose und städtische Außenseiter fotografiert. Warum haben Sie diese Menschen gewählt?

Ich habe auch in Westeuropa oder in Amerika immer wieder Obdachlose, Prostituierte, Außenseiter, Freaks, Sex- oder Gewaltszenen fotografiert. Es gibt dafür ebenso viele subjektive wie objektive Gründe. Ich hatte immer eine Faszination für die Unangepassten und Ausgestoßenen und eine tiefe Verachtung für die Tabuisierung des sogenannten Schlechten und Bösen. Jede Form von Zensur ist eine Zwangsjacke der Seele und der Eigenverantwortung. Ich glaube weder an Gott noch an Regierungen sondern an den Respekt vor der Natur und die persönliche Freiheit. Angesichts des menschenverachtenden Zynismus und der alltäglichen Brutalität, denen ich in Moskau begegnete, konnte ich unmöglich die Augen verschließen und mich ins Nachtleben stürzen, um die Ausgelassenheit der Schönen und Reichen zu dokumentieren. Was unterhaltsamer, sicherer und lukrativer gewesen wäre.

Was lässt Sie eine Wahl zwischen Motiven, Menschen, Aufnahmeobjekten treffen?

Die Situation, die Stimmung, das Licht. Ich entscheide mich immer spontan und intuitiv.

Ich es schon vorgekommen, dass Sie, nachdem Sie ein Foto gemacht haben, weglaufen mussten?

Ich musste auf Demonstrationen vor Polizisten weglaufen. Ich wurde mehrmals verhaftet, musste mich gegen Angriffe wehren oder aus gefährlichen Situationen herausreden.

In Moskau wurde ich immer wieder von betrunkenen, Kalaschnikows schwingenden Milizen bedroht, die es nicht dulden wollten, dass ich das Elend auf den Bahnhöfen fotografiere. Es war manchmal ein absurdes Versteckspiel, wie aus einer Novelle von Kafka. Überall lagen Hungernde, Betrunkene und Kranke herum, die keiner beachtete, aber sobald ich auftauchte, wurde daraus eine unerlaubte Staatsaktion. Man wollte mich am Fotografieren hindern, drohte mir die Filme abzunehmen oder mich zu verhaften, aber ich bin dennoch immer wieder zurückgekehrt.

Wenn Sie fotografieren, denken Sie daran, was die fotografierte Person zu dem Bild sagen würde?

Manchmal retrospektiv, aber nicht während ich fotografiere. Dafür ist keine Zeit. Ich bin mir natürlich darüber bewusst, dass Fotografie ein indiskretes Medium ist, das die persönliche Sphäre eines Menschen verletzen kann. Aber ich kann nicht gleichzeitig Fotograf, Seelsorger und Psychiater sein. Natürlich hätte ich den verlorenen Menschen, die ich fotografierte, lieber ein sauberes Bett, eine warme Mahlzeit und eine nette, fürsorgliche Krankenschwester gegönnt als die Gosse, aber Wunschdenken gehört in die Märchenwelt. Das Leben ist brutaler als notwendig und gute Fotografie ist immer ein wenig skrupellos, sonst kann sie nicht authentisch sein.

Die Objektivität der Fotografie wird meiner Meinung überbewertet. Jeder manipuliert durch seinen Blick, die Perspektive oder seine ethischen Vorurteile.

Machen Sie inszenierte Fotos oder suchen Sie nach einem Dokumentarmoment, in dem das Foto gemacht wird? Hat sich in der Zeit Ihrer Tätigkeit der so genannte dokumentarische Ansatz in der Fotografie verändert?

Mein primärer Ansatz ist immer der dokumentarische Moment. Wenn die fotografierte Person auf mich aufmerksam wird, kann sich eine Interaktion ergeben. Die Person reagiert, empört oder aufgeschlossen, inszeniert oder verweigert sich. Dann kommt es darauf an, die Authentizität des Augenblicks zu finden und festzuhalten. In diesem Sinne hat sich meine Fotografie seit 30 Jahren nicht verändert. Ich würde eher sagen, dass sich das Verhalten der Menschen zur Fotografie verändert hat. Es gibt heutzutage Millionen von Digitalkameras, die Milliarden von Klischeefotos produzieren. Die Menschen sind nicht mehr so unbefangen und mehr darauf konditioniert, sich in Pose zu setzen. Tragische Situationen werden tabuisiert, und wer sich fotografisch damit auseinandersetzt, wird schnell von einer kollektiven Empörung bedroht. Man wird leichter zum Sündenbock des schlechten Gewissens der Leute, wenn man sich mit Abgründen beschäftigt, die andere lieber ignorieren. Das grenzt manchmal schon an eine öffentliche Kreuzigung der Wahrheit.

Wie ist Ihre literarische Tätigkeit mit der Fotografie verbunden?

Wahrscheinlich durch die Protagonisten meiner Romane und Kurzgeschichten, die ebenfalls Verlorene, Verzweifelte, Außenseiter, Kriminelle oder Freaks sind, die aber in keinem unmittelbaren Verhältnis zu den von mir fotografierten Menschen stehen. Und durch die Kompromisslosigkeit meiner Sprache und die dunklen Sujets. Fotografien sind Momentaufnahmen und Fragmente aus Situationen, die mit der Literatur oder der Lyrik schwer zu vergleichen sind. Wenn ich schreibe, schöpfe ich aus meinem Inneren, meiner Phantasie und meinen Erfahrungen. Wenn ich fotografiere, reproduziere ich die Realität mit den Nuancen meiner Wahrnehmung.

Sie schreiben Geschichten, in denen Fotos präsent sind. Sind diese Bilder mehr als Textillustrationen?

Meine Geschichten oder Gedichte sprechen für sich, erzeugen ihre eigene Dynamik und brauchen keine Illustrationen. Es gibt auch keine Fotos, die speziell irgendeine Geschichte erläutern oder ergänzen. Die Fotos erzeugen nur vage Assoziationen zu bestimmten beschriebenen Stimmungen. Sie erzählen ihre eigenen Geschichten oder inspirieren zu Fragen über die Person, die Situation und die Hintergründe des Dokumentierten.

Sehen Sie sich als Autor einer literarischen bzw. fotografischen Tradition? Haben diese „Schulen“ etwas gemeinsam oder sind sie auf keine Weise miteinander verbunden?

Meine Fotos stehen vielleicht in der Tradition eines Weegee, einer Diane Arbus oder eines Don McCullin. Am meisten haben mich Shakespeare, Nietzsche, Dostojewski und Kafka beeindruckt. Aber meine Literatur steht eher in der Tradition eines William Burroughs, Hubert Selby oder Charles Bukowski. Obwohl das nur Etiketten sind. Als es noch kein Fernsehen, Filme, die Fotografie etc. gab, waren die Autoren noch nicht so reizüberflutet und haben sich gegenseitig mehr inspiriert. Wenn ein Europäer im 19. Jahrhudert über Amerika schrieb, hat er sich wahrscheinlich auf Berichte anderer verlassen oder hat phantasiert. Heutzutage kann fast jeder überall hinreisen und täglich Dinge sehen, die früher ein ganzes Leben voller Studien und Recherchen nicht ermöglicht hätten. Die moderne Literatur verdankt den zeitgenössischen Phänomenen der globalen Kommunikationsmöglichkeiten mehr Input in ihre Arbeit als ihren literarischen Vorgängern. Ich habe mich nie mit Traditionen oder Schulen beschäftigt. Ich mache einfach nur das, was mich beschäftigt und was mir wichtig ist. Egal, wie es interpretiert wird.

Sie wollen in der Ukraine fotografieren. Was erwarten Sie, was hoffen Sie zu finden?

Als Halbukrainer, der noch nie in der Ukraine war, kann ich nur sagen, dass ich sehr gespannt bin.

 

Mehr über die Ausstellung unter: http://vcrc.org.ua/zownir-okraina/

 

 

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