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Seid realistisch, fordert das Unmögliche! Wir spielen Fußball

Rosemarie Poiarkov, geboren 1974 in Baden bei Wien, Österreich. Autorin, Theatermacherin, Journalistin, Deutsch-als-Fremdsprache-Trainerin. Studium der Philosophie, Germanistik und Politikwissenschaften.
Prosa: Eine CD lang. Liebesgeschichten, Zsolnay 2001; Wer, wenn nicht wir?, Czernin 2007. 2001 Stipendium des Stadtsenats Berlin, 2003 Alfred-Gesswein-Preis. Drama: küchenliegen (deutsch/arabisch, Alexandria 2008); Katharina macht mal halblang, Matti – Runter kommen alle

Als ich gefragt wurde, ob ich bei einem Theaterprojekt zum Thema „1968“ mitmachen wolle, war ich zuerst einmal skeptisch. Meine bunte Strickweste vermodert im Vorzimmerkasten, mit dem Peace-T-Shirt hatte ich schon vor langem Küchenschränke trocken gewischt. Mein aktives politisches Aufbegehren hatte mit 18, 19 Jahren desillusioniert geendet. Die Umweltgruppe, bei der ich mich engagierte, hatte innerhalb zweier Jahre von basisdemokratischen Diskussionen zur Gesprächsleitung via eines kostenpflichtigen Mentors umgestellt. Bei der Ausländerproblematik wurde mir von beiden Seiten mit allzu vielen Schwarz-Weiß-Bildern gearbeitet. Auch ich hatte Janis Joplin und John Lennon gehört, aber Woodstock unterschied sich für mich kaum von heutigen Musikfestivals, bei denen man sich genauso im Schlamm wälzen kann, zugedröhnt von Drogen und Alkohol. Der aktionistische Künstler Hermann Nitsch sitzt in seinem Museum, wenn er nicht gerade seine ehemals radikalen Ideen im Burgtheater unter Applaus des Bundeskanzlers verwirklicht. Das konnte mir alles gestohlen bleiben. Das hatte mit meiner Welt nichts mehr zu tun.

Dabei war das früher anders gewesen. In einer konservativen Kleinstadt lebend, stellte ich mir gerne die jungen Menschen vor, wie sie in bunten Kleidern ein freies, aufregendes Leben führen. Man demonstriert gegen den Vietnam-Krieg, veranstaltet Bed-Ins und singt „Give Peace a Chance“, an den Universitäten wird heftig diskutiert, und Martin Luther King hat nicht nur einen Traum, sondern kämpft auch für diesen. Die relativ unpolitischen Blumenkinder der USA also, die Hippies, brachten mich zum Träumen.

Heute spricht man von der ersten globalen Bewegung. Die ganze Welt war in Aufruhr. „Wir alle wollten diese Welt nicht. Unser Protest war der Protest gegen die blockierte Gesellschaft“, beschreibt der polnische Essayist Adam Michnik das Gemeinsame dieser Zeit in den unterschiedlichen Ländern. Der ehemalige Dissident wurde als einer der wichtigsten Beteiligten der Märzunruhen 1968 in Polen inhaftiert. Ausgelöst wurden die Demonstrationen durch die Absetzung eines Theaterstücks des polnischen Dichters Adam Mickiewicz. Von der Protestbewegung in Polen, die in ihrem Kern 1956 begann, weiß man im Westen kaum etwas. Der „Prager Frühling“ hingegen hat es ins kollektive 68er-Gedächtnis geschafft. Auch beim Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts im August 1968 gab es „Blumenkinder“, Menschen, die den Soldaten Blumen in die Hand drückten. Doch es ist ein Unterschied, ob man in einem totalitären oder in einem demokratischen Staat für mehr Freiheit, für mehr Rechte demonstriert. Die Ermordung des Studenten Benno Ohnesorg bei einer Demonstration in Deutschland 1967 führt zu einer Ausweitung und Radikalisierung der schon länger dauernden Protestbewegung der APO (Außerparlamentarische Opposition). In Memphis, USA, wird im April 1968 der schwarze Bürgerrechtler Martin Luther King erschossen. Relativ unbekannt ist, dass in Mexiko beim Massaker von Tlatelolco im Oktober 1968 rund 500 StudentInnen durch staatseigene Militärpanzer starben. Gegen das Ende des Traums vom „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ wehrten sich die Tschechen und Slowaken mit einfallsreicher Zivilcourage. So wurden z.B. Ortstafeln und Straßenschilder verdreht, übermalt oder abmontiert. Vielleicht ist der August 1968 auch deswegen in den hiesigen Medien so präsent, weil hier das Ende der Freiheitsbestrebungen so deutlich sichtbar wird. Ein Ende, das anders als bei anderen Bewegungen, von außen kam.

Warum gerade in den 60ern der Protest losbrach, dafür gibt es mehrere Erklärungen. Eine neue Generation war herangewachsen. Die Jungen im Osten hatten keine eigene Erinnerung an die Besetzung und an den stalinistischen Terror. Die jungen Menschen weltweit waren die erste Generation nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Wirtschaftsaufschwung hatte die Armut vergessen gemacht. In Deutschland begann man Fragen nach der Rolle der Eltern in der Zeit des Hitler-Faschismus´ zu stellen. Europa war dumpf und reaktionär. Der Staat, die Eltern, die Lehrer und Universitätsprofessoren („Unter den Talaren der Muff von 1000 Jahren!“), der Ehemann – Autoritäten wurden nicht in Frage gestellt, und stellte man diesen eine Frage, war das im Grunde schon eine Beleidigung. Nicht nur an der Universität saß die „Generation der Täter“ in Machtpositionen und vertrat nach wie vor nationalsozialistisches Gedankengut.

Wenn sich auch nicht alle Gruppen damals als „kommunistisch“ deklarierten, so waren doch alle dezidiert links eingestellt. Karl Marx´ „Das Kapital“ galt neben Werken von Herbert Marcuse und Theodor W. Adorno als Basislektüre, um den „Teach-Ins“ in den deutschen Hörsälen folgen zu können. In Deutschland und auch Österreich skandierte man den Namen des Anführers der vietnamesischen Revolution, „Ho-Ho-Ho-Chi-Minh”, verehrte Che Guevara und fuhr schon mal nach China, um bei der Kulturrevolution dabei sein zu können. Nicht nur wegen des Vietnamkriegs, gegen den auch in Europa demonstriert wurde, war man anti-US eingestellt. Anti-US war auch gleichbedeutend mit „anti-kapitalistisch“. Von einer Kritik an der Sowjetunion hört man heute kaum etwas. Man verurteilte den Einmarsch der sowjetischen Truppen in die CSSR. Aber der real existierende Kommunismus schien den Wunsch nach einem utopischen Sozialismus wenig zu beeinflussen. Ein gutes Beispiel dafür ist eine der Symbolfiguren der deutschen Protestbewegung. Der 1940 geborene Rudi Dutschke war in der DDR aufgewachsen und noch vor dem Bau der Berliner Mauer in den Westen übersiedelt. Er vertrat einen christlich geprägten, marxistischen Sozialismus, in dem er jedoch die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen betonte. Wichtig war die Kritik an den herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen im Westen, nicht die Analyse der bestehenden kommunistischen Regimes. Der Glaube an Utopien konnte durch diese nicht ins Wanken gebracht werden. Das ist auch insofern interessant, als dass der Wendepunkt 1989, das tatsächliche Scheitern des real existierenden Kommunismus´, für den Verlust des Glaubens an Utopien verantwortlich gemacht wird.

Während in Deutschland vielen Intellektuellen vor den Fabriken ihre Flugzettel kaum jemand abnahm, verbündeten sich in Frankreich die ArbeiterInnen mit den demonstrierenden StudentInnen. Das harte Einschreiten der Polizei gegen die Barrikaden errichtenden jungen Leute („Unter dem Pflaster liegt der Strand“) führte in Folge zu einem mehrwöchigen Generalstreik des ganzen Landes. „Der erste Eindruck war, als ob sich plötzlich ein riesiger Deckel hob, als ob plötzlich bisher zurückgehaltene Gedanken und Träume in das Reich des Wirklichen und Möglichen übertragen wurden. (…) Eine ungeheure Woge von Gemeinschaft und Zusammenhalt ergriff diejenigen, die sich selbst zuvor nur als vereinzelte und machtlose Marionetten angesehen hatten, die von Institutionen beherrscht wurden, die sie weder kontrollieren noch verstehen konnten“, beschreibt der Sozialist Maurice Brinton die Stimmung an der Sorbonne im Mai 68. Letztlich hat jedoch genau die Ausweitung auf die Arbeiterbewegung dazu geführt, dass die keimende soziale Revolution ein jähes Ende fand. Der konservative Präsident Charles de Gaulle wurde bei von ihm ausgerufenen Neuwahlen im Juni 1968 mit großer Mehrheit wieder gewählt.

In anderen Staaten zerfiel die Bewegung deutlicher aus sich selbst heraus. Marxistische, leninistische, trotzkistische usw. Kleingruppen bildeten sich. Nicht nur in Deutschland wollten einige wenige den Kampf mit anderen Mitteln, das hieß mit Gewalt weiterführen. Die RAF (Rote Armee Fraktion), die sich als „kommunistische antiimperalistische Stadtguerilla“ verstand, hat trotz der begangenen Morde noch heute durchaus ihre Sympathisanten.

Die Folgen und die Bedeutung der 68er-Bewegung sind umstritten wie niemals zuvor. Die einen rühmen den Aufbruch der alten Strukturen, andere bestreiten, dass die Liberalisierung ein Verdienst der 68er sei, wieder andere bedauern ihre damaligen Irrtümer oder sind der Meinung des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy. Der 1955 Geborene machte letztes Jahr im Wahlkampf die 68er-Bewegung für allerlei Missstände der heutigen Gesellschaft verantwortlich. Der moralische und intellektuelle Relativismus, den diese eingeführt hätten, führe dazu, dass es keine Regeln mehr gebe, keine Autoritäten mehr anerkannt würden. In weiterer Folge ist das Zerbrechen der traditionellen Familienstruktur, die Verwahrlosung von Jugendlichen, der Leistungs-Sex ohne Erotik ebenfalls die Schuld der ehemals langhaarigen Revoluzzer.

Denn 1968 steht auch für den Beginn neuer Lebensformen. Die Deutschen träumen noch heute bei der Erwähnung der Kommune 1 von wildem, folgenlosem Sex. Gerne sprechen die Männer, die damals dabei waren, davon, dass die Frauenbewegung mit ihnen angefangen habe. Aber mittlerweile gibt es auch den Einwand, dass im Grunde genommen patriarchalische Strukturen auch in den Kommunen fortgesetzt wurden, nur unter anderen Vorzeichen. Obwohl die Frauenbewegung wie auch die Umweltbewegung ihren Ursprung in im dem radikalen Hinterfragen jener Zeit haben, sind sie tatsächlich erst später entstanden.

Man sieht, auch darüber, was damals tatsächlich passiert ist, ist man sich nicht einig. Wer dabei gewesen ist, ist meistens dankbar, und manch einer hält den jetzt jungen Leuten vor, dass sie besser auch eine kleine Revolution versuchen sollten, dass es leicht sei, sich über 1968 lächerlich zu machen. Denn die Alt-68er haben heute oft keinen guten Ruf. Der von Rudi Dutschke ausgerufene „Marsch durch die Institutionen“ hat viele in Machtpositionen ankommen lassen. Thomas Schmid z.B. war  ehemals bei den Demonstrationen gegen den deutschen Zeitschriftenverlag Springer nicht nur Mitläufer. Heute ist das einstige Gründungsmitglied der Gruppe „Revolutionärer Kampf“ Chefredakteur in dem ehemals bekämpften Konzern. Andere scheinen hängen geblieben zu sein wie Rainer Langhans, eine der bekanntesten Kommunarden, der, ganz in Weiß gekleidet, in Fernsehshows von seiner spirituellen Suche, unter anderem in Partnerschaft mit vier Frauen, erzählt.

Und 68 in Österreich? Auch hier gab es Sit-ins und Kommunen, gingen die Menschen auf die Straße, wenn auch das Dagegen oft nicht so klar definiert war wie in anderen Staaten, auch in Österreich wurde an der Universität heftig diskutiert. Der in den 70ern eingeführte freie Hochschulzugang wird gern den 68ern gutgeschrieben. Die Bezeichnung „Eine heiße Viertelstunde“, der Titel eines Buches über diese Zeit, sagt aber schon alles. In Österreich war besonders die Kunst wichtig. Die radikale und auch international anerkannte künstlerische Rebellion begann Mitte, Ende der 50er-Jahre. In der Literatur stehen dafür besonders H.C. Artmann und die Wiener Gruppe. Die Aktion aller Aktionen, die in die Geschichte einging, wurde bezeichnenderweise auch von Künstlern veranstaltet. Das von den Medien „Uni-Ferkelei“ genannte Happening mit gerichtlichem Nachspiel fand am 7.6. in einem Hörsaal der Universität statt. Unter dem offiziellen Titel „Kunst und Revolution“ wurde auf die Nationalfahne onaniert, geschissen, am Katheder wurde jemand ausgepeitscht, Exkremente wurden am Körper verteilt, man kotzte, sang dabei die Bundeshymne und manche waren nackt. Die Beteiligten gehörten teils der Gruppe des „Wiener Aktionismus“ an, die schon seit längerem mit provokanten Happenings die Gemüter erregt hatte. Der Höhepunkt der österreichischen 68er-Bewegung war zugleich ihr Ende.

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Ich spiele freitags Fußball. Unsere Gruppe wird durch das Fußballspielen zusammengehalten, aber oft bleiben wir beim Bier danach bis weit in die Nacht hinein sitzen. Jemand plant einen Umzug? Mal am Freitag fragen. Jemand sucht einen Lektor? Mal am Freitag fragen. Jemand sucht einen Job, eine Wohnung, neue Ideen? Wer Gruppen eigentlich nicht mag, ist bei uns gut aufgehoben. Als ich über 1968 nachdachte, fiel mir das Gefühl der Gemeinschaft ein, das damals geherrscht haben musste. Also fragte ich am Freitagabend, ob wer Lust habe bei einer Fußballperformance mitzumachen. „Kunst existiert nicht, Kunst bist du“, hatten 1968 französische StudentInnen in Paris an die Wände gesprüht. Den genauen Ablauf dachten wir uns gemeinsam aus, Proben gab es keine. Die Regeln, z.B. auch die Frage, ob es überhaupt Mannschaften geben sollte, ob es immer einen Gewinner und einen Verlierer geben müsse, wurden vor dem Spiel diskutiert. Eine Stunde kickten wir, einen Teil unserer Persönlichkeit übertrieben zur Schau gestellt, im Theaterraum. Ein weiterer Teil der Performance bestand darin, dass derjenige, der einen Fehler machte, aufs Podium sollte, um sich zu verteidigen oder um seine Wut an wen oder was auch immer herauszulassen. Wer nicht wollte, musste nicht. Auch andere Programmpunkte des Tages, der unter dem Schwerpunkt „Literatur und Öffentlichkeit“ stand, waren von Fußballern gestaltet worden. Mit Widerstand hatte die Fußballperformance nichts zu tun, mit Utopie sehr wohl. Wir spielen Fußball, bis uns die Bänder reißen.

Zur Serie Krieg

 

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