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Literarischer Briefklub

(Понеділок, 12 Грудня 2011) Home
Von der Bibliothek des Goethe-Instituts Kyiv wurde das Projekt des "Literarischen Briefklubs" gestartet, in dem ein internationaler Briefwechsel zwischen DichterInnen und ÜbersetzerInnen aus verschiedenen Ländern, grundsätzlich zwischen deutschen und ukrainischen, zustande kommt. Die Themen kreisen um Literatur, Übersetzungen, Verlage, Herausgeberschaft, Rezeption von Texten in verschiedenen Ländern, um kulturelle Unterschiede einerseits, sowie um das Alltägliche des Literaturbetriebs und des Dichterlebens andererseits. Es werden neue Namen entdeckt, Koryphäen und Standardwerke genannt, Erfahrungen ausgetauscht. Die Briefe werden regelmäßig auf dem Netz veröffentlicht. Jeden zweiten Monat kommt ein neuer Dichter und Übersetzer oder eine neue Dichterin oder Übersetzerin an die Reihe, der (die) interviewt wird. Der Briefwechsel wird die traditionelle Briefform behalten und auf den epistolaren Stil zurückgreifen („Briefe an den jungen Dichter“ Reiner Maria Rilkes sind wohl der populärste Beispiel dafür).

Jeder Briefwechsel wird vier Briefe mit vier Antworten enthalten, die wie eine Art größeres Interview sind, in dem die angeschriebenen DichterInnen und ÜbersetzerInnen auch zurückfragen werden. Die Briefe und die Antworten werden ins Ukrainische übersetzt und alle TeilnehmerInnen während des Briefwechsels extra vorgestellt. Das Projekt wird von Vasyl Lozynskyi kuratiert.

Der erste Briefwechsel findet mit Ron Winkler statt.

 

Ron Winkler an Vasyl Lozynskyi 1 

Lieber Vasyl,

der Aufenthalt in Córdoba sollte dazu dienen, die fremde Kultur zu berühren und die dabei entstehenden unterschiedlichen elektrostatischen Entladungen in Worte zu fassen. Dass dabei Literatur (in Reinform) entstehe, war nicht zwingend vorgeschrieben. Dass man für das Amt einen Schriftsteller gebucht hatte, ist vielleicht als Respekt vor einer bestimmten Neugier und sprachlichen Versiertheit zu verstehen. Andererseits ist ein Dichter eben ziemlich vieles in einem – ausdauernd im Observieren, mitteilungsfreudig, vor allem aber ein routinierter (gutartiger) Parasit an den Verhältnissen.

Es galt, sechs Wochen lang quasi in Echtzeit Beiträge für ein Blog zu verfassen. Ich war gern der dafür benötigte staunende Spion. Der Modus des Schreibens ergab sich aus einigen Linien, die ich schon vorher verfolgt hatte. Letztlich endeten sie in einer Matrix aus Beobachtungen – kursorischen Notizen eines Chronisten, dem die lakonische Abstraktion nicht fremd ist.

In Venedig ist es anders. Ich bin nicht veranlasst, die sehr aufgeladene Atmosphäre der Stadt in Poesie umzumünzen, allerdings setze ich mich diesem Reiz auch bewusst aus. Neue Räume – seien sie nun geografisch, literarisch, intellektuell oder emotional neu – frischen einfach das Blut auf. Das eigene Sensorium muss rekalibriert werden, wie auch die Terminologie, aus der man ohnehin immer herausschlüpfen will.

In Bezug auf die längerfristige Residenz in einer ungewohnten Stadt heißt das, dass man zunächst in einem Flirren lebt. Der neue Ort ist irreal, so wie auch der Herkunftsraum plötzlich irreal wird. Man ist Resident und Tourist zugleich, oder: wie bei einem Wackelkontakt in unregelmäßiger Folge nacheinander. Und so gibt es auch eine Zweiheit in den Gedichten: Das erste war formal noch ganz „mitgebracht“, während das zweite zu einer eigenen Gangart fand. Ein Impuls, der unbedingt der temporären Versetzung zu verdanken ist.

Auf gewisse Weise lebt man dabei in einem Satelliten. Insofern kann ich nicht von einer bestimmten Rezeption meiner Texte sprechen.

Der „Zwangskontakt“ mit dem Unbekannten ist ein hoher Wert. Abgesehen davon, dass man zum Eremiten in seiner eigenen Kunst wird – wobei „Kunst“ nicht unbedingt das Schreiben meint, sondern die Kunst, außerhalb des vertrauten Alltags und der sozialen Bindungen zu leben.

Ich verdanke Venedig einen Text, der das einlöst, was ich strategisch schon angedacht hatte, für den aber das Material fehlte. Das hätte sich früher oder später vielleicht ohnehin ergeben, sicher sein kann man aber nicht. Genuinität lässt sich nicht erzwingen. Wie sich das auf die Bilanz auswirkt, weiß ich nicht. Es ist doch klar: Das, was ich hier geschrieben habe, hat womöglich etwas ausgelöscht, was ich in Berlin hätte schreiben können.

Ich grüße dich wie ein Absolvent der silbernen Nacht den Dogen der siebenundachzigsten Demokratie.

Ron

 

Information über die Teilnehmer:

Ron Winkler, geboren 1973 in Jena, lebt als freier Lyriker, Übersetzer und Essayist in Berlin. Von ihm erschienen folgende literarische Einzelbände: Morphosen. Texte (edition sisyphos 2002), vereinzelt Passanten. Gedichte (KOOKbooks 2004), Fragmentierte Gewässer. Gedichte(Berlin Verlag 2007), Frenetische Stille. Gedichte (Berlin Verlag 2010) und der KurzprosabandTorp (Verlagshaus J. Frank 2010). Herausgeber der Anthologien SchwerkraftJunge amerikanische Lyrik (Jung und Jung 2007), Hermetisch offen. Poetiken junger deutschsprachiger AutorInnen (Verlagshaus J. Frank 2008), Neubuch. Neue junge Lyrik(yedermann 2008), Die Schönheit ein deutliches Rauschen. Ostseegedichte (Connewitzer Verlagsbuchhandlung 2010) und Schneegedichte (Schöffling 2011). Zuletzt erschienen in seiner Übersetzung Als es dich gab, ein Roman von Forrest Gander (luxbooks 2010) sowie Glühend, ausgewählte Gedichte von Matthew Zapruder (luxbooks 2011). 

2005 Leonce-und-Lena-Preis und erostepost-Literaturpreis, 2006 Mondseer Lyrikpreis. 

www.ronwinkler.de
ronwinkler.wordpress.com

 

Vasyl Lozynskyi (geboren 1982 in Lviv) ist Lyriker, Übersetzer und Essayist, studierte Germanistik in Lviv und Berlin, übersetzte frühe Prosa von F. Kafka, zeitgenößische Autoren aus dem Deutschen und Polnischen. Die Texte sind in den Zeitschriften ПРОstory,Krytyka, ŠOund Četwer sowie in Almanachs erschienen. Übersetzer (in der Kollaboration) aus dem Deutschen von F. Waidachers Handbuch Allgemeine Museologie (Litopys 2005). Kurator des Abends der sozialen Lyrik Andere Arbeit (2009) und der Lesungen der zeitgenößischen polnischen Lyrik im Festival Kyivski Lavry (2011). Mitglied des Redaktionskollegiums von Literatur-und Kunstzeischrift ПРОstory und der Kuratorenvereinigung Hudrada (Kunstrat). Vasyl Lozynskyi lebt in Kyiv.